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Prompt Engineering wird zur Schlüsselkompetenz – Google liefert den Leitfaden dazu

Google Prompt Engineering Guide

Wie spricht man mit einer Maschine, die scheinbar alles weiß, aber nichts versteht?

Diese Frage ist längst keine philosophische Spielerei mehr. Sie gehört zunehmend zum Arbeitsalltag – in Unternehmen, in der Softwareentwicklung, im Journalismus oder schlicht bei der Internetrecherche. Prompt Engineering, also die Kunst, künstliche Intelligenz mithilfe gezielter Texteingaben zu steuern, wird damit zur Schlüsselkompetenz der Gegenwart.

Nun hat Google ein umfassendes Whitepaper vorgelegt, das diese Praxis auf eine neue methodische Ebene hebt. Der 68-seitige Leitfaden erklärt nicht nur Grundlagen, sondern auch fortgeschrittene Strategien, Konfigurationsoptionen und Best Practices. Er richtet sich an Entwickler:innen, Datenanalyst:innen – und an alle, die mit Systemen wie Gemini, GPT oder Claude mehr erreichen wollen als bloß spontane Antworten.

Link zum Whitepaper: Prompt Engineering (April 2025)


Vom Experiment zum Handwerk

Large Language Models (LLMs) wie GPT, Claude oder Gemini verändern nicht nur, wie Maschinen Sprache verstehen. Sie verändern auch, wie Menschen mit Maschinen sprechen. Was lange nach Magie klang – „Stell eine Frage, und die Maschine antwortet“ – ist in Wahrheit ein fein austariertes Wechselspiel aus Wahrscheinlichkeiten, Konfigurationen und semantischer Präzision.

Prompt Engineering versucht, dieses Wechselspiel bewusst zu gestalten. Statt bloß eine Frage zu stellen, formulieren Nutzer:innen gezielte Eingabetexte (Prompts), die Struktur, Kontext, Ziel und sogar den Ton der gewünschten Antwort festlegen. Ob ein Prompt Beispiele enthält, Rollen definiert oder bestimmte Temperatureinstellungen nutzt – all das beeinflusst maßgeblich die Qualität der Antwort.

„Prompt engineering is the process of designing high-quality prompts that guide LLMs to produce accurate outputs“, heißt es im Whitepaper. Ein Satz, der den Wandel verdeutlicht: Prompting ist kein Zufallsakt, sondern ein iterativer Prozess. Und dieser wird zunehmend systematisiert.


Vier Techniken, die zeigen, wie KI „denkt“

Wer das Whitepaper liest, bekommt mehr als eine Handreichung. Es ist eine Landkarte der Methoden – mit klarem Anspruch auf Struktur. Vier exemplarische Konzepte zeigen, wie Prompt Engineering heute funktioniert:

1. Zero-shot und Few-shot Prompting

Bei Zero-shot-Prompts reicht eine klare Anweisung – etwa: „Schreibe ein Gedicht über Katzen“. Das Modell erhält keine Beispiele. Doch komplexere Aufgaben erfordern oft ein oder mehrere Beispiele (One-/Few-shot), die dem Modell ein Muster vorgeben.

Google zeigt dies anhand einer Pizza-Bestellung: Aus einem einfachen Beispiel lernt das Modell, Freitext in eine saubere JSON-Struktur zu überführen. Der Trade-off: Je mehr Beispiele, desto robuster – aber auch länger – der Prompt.

2. Chain of Thought (CoT): Denken in Schritten

Modelle sind schlecht in Mathematik – es sei denn, man lässt sie in Zwischenschritten denken. CoT-Prompting fordert genau das.

Beispiel:
„Ich war drei Jahre alt, mein Partner dreimal so alt. Jetzt bin ich 20. Wie alt ist mein Partner?“
→ Ohne CoT: Falsche Antwort (63).
→ Mit CoT: Richtige Antwort (26), inklusive Erklärung.

Durch diese Technik werden Denkpfade sichtbar – und die Genauigkeit bei logischen Aufgaben steigt deutlich.

3. System- und Rollenprompting

LLMs lassen sich nicht nur inhaltlich, sondern auch stilistisch steuern. System Prompts definieren das Ziel (z. B. „antworte im JSON-Format“), während Rollenprompts der KI eine Identität zuweisen – vom Reiseleiter bis zum Code-Reviewer.

Prompt-Beispiel:
„Ich bin in Manhattan. Schlag mir drei Museen vor – im Ton eines humorvollen Reiseleiters.“
Antwort:
„Bereit für einen Kulturschock? Dann ab ins MoMA – wo selbst deine Kritzeleien wie Kunst aussehen!“

4. ReAct: Reason & Act

ReAct kombiniert logisches Denken mit Handlungen. Das Modell darf Websuche oder externe Tools nutzen. Im Whitepaper demonstriert Google, wie ein ReAct-Agent herausfindet, wie viele Kinder die Mitglieder der Band Metallica haben – durch gezielte Suchaktionen, Zwischenschritte und Synthese. Die Antwort: zehn.

Diese Technik ist die Grundlage für sogenannte „Agentensysteme“ – also autonome KI-Einheiten, die recherchieren, analysieren und interagieren können.


Googles Strategie: Standardisierung durch Offenheit

Das Whitepaper erscheint zu einem strategisch gewählten Zeitpunkt. Große KI-Modelle sind aus dem Labor in den Alltag gewandert. Prompting ist keine Nische mehr, sondern produktive Notwendigkeit.

Google positioniert sich damit nicht nur als Anbieter eigener Modelle (Gemini, Vertex AI), sondern auch als pädagogischer Standardgeber. Wer das Dokument liest, erkennt: Hier geht es nicht um Marketing, sondern um Methodik. Und um Deutungshoheit.

Das Papier ist eingebettet in eine größere Bewegung: Die chaotische Phase des „Promptens aus dem Bauch heraus“ weicht einer Zeit der Muster, Begriffe und Werkzeuge. Prompt Engineering wird zur Lehrdisziplin – mit Folgen:

  • Für Entwickler:innen: messbare Qualität durch wiederholbare Templates.
  • Für Unternehmen: neue Rollenprofile und Kompetenzanforderungen.
  • Für Bildungseinrichtungen: Unterrichtsmaterial für den KI-Einsatz.
  • Für Mitbewerber wie OpenAI oder Anthropic: ein Maßstab, der auf breiter Anschlussfähigkeit zielt.

Dabei bleibt das Dokument überraschend offen: Die Prinzipien lassen sich modellunabhängig nutzen – egal ob GPT, Claude oder open-source. Google verkauft keine Vision, sondern eine Praxis.


Fazit: Ein Handwerk im Wandel

Googles Whitepaper ist mehr als ein Leitfaden. Es ist das Dokument einer Übergangszeit – entstanden in einem Moment, in dem KI zwar allgegenwärtig ist, aber noch nicht selbstverständlich.

Es zeigt: Gute Ergebnisse sind kein Zufall. Sie sind das Resultat gezielter Gestaltung. Prompt Engineering wird damit zum neuen Handwerk des Digitalen. Doch schon steht die nächste Welle bevor: Automatic Prompt Engineering – also die Automatisierung des Promptens selbst.

Bleibt also die Frage: Wenn Maschinen bald wissen, wie man sie ansprechen muss – was bleibt dann vom menschlichen Einfluss?

Vielleicht ist genau das die Herausforderung der kommenden Jahre: Prompt Engineering nicht aufzugeben, sondern weiterzudenken – von der Texteingabe zur Systemstrategie. Wer Maschinen nicht nur versteht, sondern ihnen auch den Takt vorgibt, wird ihren Wandel nicht nur begleiten, sondern gestalten.


Link zum Whitepaper:
Prompt Engineering (April 2025)
(Hinweis: Das Whitepaper steht als PDF kostenlos zur Verfügung.)

Über den Autor
Ralf Dodler ist Unternehmer, Autor und Inhaber von Dodler Consulting, einem Online-Marketing-Unternehmen mit Sitz in Schwalbach (Saar), das sich auf Suchmaschinenoptimierung und Content-Marketing spezialisiert hat.

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